Interview mit Clemens Škoda: Das Zejler-Kocor-Jahr

Kennst du die Hymne „Rjana Łužica” („Schöne Lausitz”)? Geschrieben wurde das Lied von Handrij Zejler, dem Begründer der modernen sorbischen Literatur. Die Melodie stammt aus der Feder des sorbischen Komponisten Korla Awgust Kocor. Und weil der 150. Todestag von Zejler und der 200. Geburtstag von Kocor in das neue Jahr fallen, wurde 2022 zum Zejler-Kocor-Jahr ausgerufen. Das Festjahr rund um die beiden großen sorbischen Dichter und Denker hat viele spannende Veranstaltungen zu bieten. Wir haben mit dem Kulturreferenten der Domowina Clemens Škoda (deutsch: Schkoda) über die Höhepunkte des Zejler-Kocor Jahres und die Idee dahinter gesprochen.

Von: Julia Mahal

 Wir Deutschen sind sehr stolz auf unsere Dichter und Denker. Welchen kulturellen Beitrag leisten Handrij Zejler und Korla Awgust Kocor noch heute?

So wie deutsche Dichter und Denker im deutschsprachigen Raum haben Zejler und Kocor im sorbischen Einflussgebiet ihre Leistung erbracht und unsere Sprache und Kultur geprägt. Dies betrifft zum einen die reine Anwendung von Sorbisch, zum anderen die Werke als Zeugnis unserer Kultur. Diese sind vielleicht vergleichbar mit denen von Joseph Haydn oder Joseph von Eichendorff, die Gedichte und Kompositionen für das Volk gemacht haben. Darüber hinaus waren Zejler und Kocor Vertreter der Nationalbewegung, die in ganz Europa präsent war, und haben somit einen wichtigen Beitrag zur nationalen Identität der Sorben geleistet.

Auch heute noch werden Kocors Oratorien zu Ostern oder zu Weihnachten im Rundfunk gespielt und gehören zum Ambiente einfach dazu. Ich behaupte mal, dass fast jeder sorbischsprachige Haushalt noch das Oratorium Nalěćo (“Der Frühling”) zu Hause hat. Zejlers Gedichte sind fester Bestandteil der Lehrpläne von Mittelschulen und Gymnasien. Natürlich haben viele noch seine Sammelbände zu Hause. Auch wenn ich nicht jeden Tag Zejler lese, nehme ich doch gelegentlich seine Bücher zur Hand. Von Zejler sagt man, dass er für das Volk geschrieben hat, da er zwar eine gehobene, aber verständliche Sprache verwendete. Er beschrieb mit seinen Werken unter anderem die Natur, die Jahreszeiten und die Heimat mit ihren Volksfesten.

2022 begehen wir das Zejler-Kocor-Jahr. Warum findet die Veranstaltungsreihe gerade 2022 statt und auf was können sich die Besucher freuen?

2022 ist der 150. Todestag von Handrij Zejler und der 200. Geburtstag von Korla Awgust Kocor. Im Vorfeld haben Enthusiasten im Umfeld des Sorbischen National-Ensembles und dessen Förderverein den Kocor-Wettbewerb 2.0 ausgeschrieben. Junge Komponisten waren aufgerufen, ihre Werke einzureichen, die dann prämiert worden sind. Diese sollen mit dem Ensemble einstudiert und im Rahmen des Zejler-Kocor-Jahres präsentiert werden. Mich freut, dass die alten Haudegen Zejler und Kocor die heutige Jugend aktiviert haben.

Während des Zejler-Kocor-Jahres wird es im Februar eine Führung am Zejler-Pfad geben, bei der es um die Lebensstationen von Zejler in Lohsa geht. Ebenfalls in Lohsa wird die Leseveranstaltung “Sorbischer Abend mit Zejlers Fabeln” veranstaltet. Im Mai dürfen wir uns dann auf das Frühlingskonzert des Chores LIPA im Klostergarten Panschwitz-Kuckau freuen.

Auch der 76. Sorbische Kirchentag wird auf die Jubiläen eingehen und in Schleife werden Musiker im Rahmen eines Dudelsackfestivals die sorbischen “Dichter und Denker” ehren. Im Juli spielen Chöre der Löbauer Ephorie das Oratorium “Podlěćo”, was mich besonders freut, da wir die sorbische Kultur natürlich auch nach außen tragen wollen. Dann gibt es noch die Veranstaltung “Zejler im neuen Frack” in Panschwitz-Kuckau von der Gesangsgruppe Wólbernosće, die mit ihrer lockeren, flockigen Art ein wenig an die Comedian Harmonists erinnern. Auch der Lausitzer Musiksommer der Chorakademie wird sich mit einer Veranstaltung dem Zejler-Kocor-Jahr anschließen und am 3. Dezember wird es dann ein Gedenken direkt am Grab vom Kocor in Berge/Zahor geben.

Außerdem sind mehrere Publikationen angedacht. So werden eine deutsche Übersetzung der Biografie von Korla Awgust Kocor und eine digitale Edition der Werke von Handrij Zejlers erscheinen. Das Sprachzentrum „WITAJ“, bringt darüber hinaus Themenhefte heraus. Auch spannend: Eine junge Truppe von Programmierern hat eine Sonderkategorie zum Zejler-Kocor-Jahr in ihrer App „Quizserb“ eingebunden. Die Fragen wurden mit Hilfe von Schülern im Rahmen des Unterrichts erarbeitet.

Der Höhepunkt des Zejler-Kocor-Jahres ist das am 29.10.22 in der Bautzener Krone stattfindende Sängerfest, eine Tradition, die durch Kocor begründet wurde. Was erwartet die Zuschauer?

Nach historischem Vorbild soll jeder, der singen kann, zum Sorbischen Gesangsfest in die Bautzener Krone gekarrt werden (lacht). Das Gesangsfest stellt quasi den Höhepunkt des Jahres dar und wird auch per Live-Stream übertragen. Es gibt bereits über 350 Anmeldungen, was unsere Erwartungen bei weitem übertroffen hat. Mal sehen, ob die Veranstaltung coronabedingt in dieser Größenordnung stattfinden kann.

Wer hatte die Idee zum Zejler-Kocor-Jahr? Wie ist die Entstehungsgeschichte?

Anlass gab ein Herr aus den östlichen Gebieten von Bautzen, der gerne zu diesen Anlässen mit seinem Chor auftreten wollte. Daraufhin hat sich das Ensemble damit beschäftigt und weitere Engagierte eingeladen. Die Resonanz war so groß, dass die Idee zum Zejler-Kocor-Jahr entstand. Der Ausgangspunkt war ganz konservativ ein Word-Dokument, in dem ich alle Ideen zusammengetragen habe. Durch diese zentrale Organisation konnte die dezentrale Struktur der verschiedenen Veranstalter gut koordiniert werden.

Corona wird uns auch noch im Zejler-Kocor-Jahr beschäftigen. Wie stellt ihr euch darauf ein?

Wir rechnen damit, dass es hier oder da Beschränkungen gibt. Jeder, der in diesen turbulenten Zeiten Veranstaltungen organisiert, muss mit möglichen Restriktionen rechnen. Wir hoffen aber nicht, dass Veranstaltungen ausfallen, verschoben oder rein digital durchgeführt werden müssen. Und wie gesagt: Der Live-Stream zum Sorbischen Gesangsfest ist auf jeden Fall gesetzt!

Mit „Rjana Łužica” („Schöne Lausitz”) haben Zejler und Kocor die sorbische Hymne schlechthin geschaffen. Was verbindest du mit dem Lied?

Man singt diese Hymne immer mal wieder, beispielsweise bei der Domowina-Hauptversammlung. Es ist sehr schön, dass wir eine eigene identitätsstiftende Hymne haben. Gerne erinnere ich mich in diesem Zusammenhang an die Europeada, die Fußball-Europameisterschaft der autochthonen nationalen Minderheiten, Nationalitäten und Sprachgemeinschaften, bei der unsere Hymne live gespielt wurde. Die Veranstaltung findet parallel zur Fußball-Europameisterschaft statt und soll die Menschen abseits einer politischen Ebene oder eines wissenschaftlichen Kongresses zusammenbringen. 2012 fand das Turnier in der Lausitz statt und hat zu viel positiver Resonanz geführt. Die Hymne erklang unter anderem, als die Sorben gegen die Deutschen in Polen oder gegen die Sinti und Roma aus Ungarn gespielt haben.

Welche Rolle spielen Zejler und Kocor in der Schule? Was können wir und vor allen Dingen die junge Generation von Zejler und Kocor lernen?

Meine Frau ist Lehrerin für Sorbisch und Musik und könnte diese Frage besser beantworten. Zejler und Kocor sind aber auf jeden Fall fester Bestandteil der heutigen Lehrpläne an sorbischen Schulen, so wie Mozart und Lessing. Die Masse an Werken, die sie – vor allem zusammen – geschaffen haben, ist beeindruckend. Beide waren sehr tüchtig und engagiert, denn Sie mussten ja schließlich neben der Kunst ihren Lebensunterhalt bestreiten und haben das nicht nur mit Literatur und Musik gemacht.

Gibt es eine junge Generation von Schriftstellern und Musikern, die die sorbische Kultur weitertragen? Wo können sich Interessierte informieren?

Es gibt viele junge Sorben, die sich mit der sorbischen Sprache beschäftigen. Eine erste Anlaufstelle ist das Paternoster – herausgegeben vom Domowina-Verlag, eine Übersicht von Werken, in der viele junge Autoren zu finden sind. Da sind auch momentan viele interessante Musik-Projekte, teilweise in der Subkultur, teilweise kulturell gefördert oder durch den MDR produziert. Es gibt “Sorbian Music”, aber auch sorbischen Hip-Hop, Heavy Metal, Schlager oder Pop. Die Sorben sind ein sehr musikalisches Volk, wir singen auch gerne. Auch der Sorbische Künstlerbund lockt immer mehr junge Künstler an.

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Beitragsbild: Domowina 

Bild von Clemens Škoda: Clemens Škoda

Über Clemens Škoda 

Clemens Škoda wurde in Räckelwitz/Worklecy geboren und ist in Ostro/Wotrow, einem sorbischen Dorf, aufgewachsen. Seit 2008 ist der heute 38-jährige bei der Domowina. Zunächst war er Regionalsprecher, seit 2011 ist er Referent für Kultur und Ausland. In seiner Freizeit ist der dreifache Vater passionierter Fußballspieler und -trainer.

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Was wünschen Sie sich für das Schleifer Sorbisch?

Was man jetzt nicht erhält, wird auch in der Zukunft nicht mehr da sein. Jemand, der jetzt die Sprache spricht, sollte sie deswegen auch weitergeben. Denn jede Sprache ist ein Schatz, den wir bewahren sollten.
Juliana Kaulfürst
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