Auf der Spur nach Identität und Heimat: Ein Film für alle, die auf der Suche sind

Zum Kinostart von Bei uns heißt sie Hanka/ PLA NAS GRONJE JEJ HANKA /POLA NAS RĚKA WONA HANKA haben wir mit Regisseurin Grit Lemke darüber gesprochen, was Identität stiftet. In ihrem Dokumentarfilm begibt sie sich auf die Spur ihrer sorbischen Wurzeln. Was als Suche nach Herkunft, Muttersprache und Zugehörigkeit beginnt, wird zu einem sehr persönlichen und intimen Einblick in die Traditionen, Traumata und Träume eines Volkes. 

Heimat: Lausitz. Als Kinofilm über, von und mit Sorbinnen und Sorben begibt sich die Regisseurin Grit Lemke in ihrem neusten Werk auf einen Streifzug durch den östlichsten Rand Deutschlands. „Der Osten ist meine Heimat“, sagt sie, „im engeren Sinne die Lausitz.“ Geboren ist sie 1965 in Spremberg/Niederlausitz, aufgewachsen in Hoyerswerda. 

Von: Redaktion "Sorbisch? Na klar."
Portrait von Grit Lemke
Grit Lemke, geboren in Spremberg, aufgewachsen in Hoyerswerda, arbeitet als Dokumentarfilmregisseurin und Autorin. Copyright: Börres Weiffenbach

Das Bedürfnis zu erzählen, was in der Lausitz passiert, wuchs mit den Erfahrungen aus drei Jahrzehnten Berufstätigkeit und dem räumlichen Abstand zur Heimat. Als Grit Lemke 2017 nach Hoyerswerda zurückkehrt, entsteht der dokumentarische Roman „Kinder von Hoy. Freiheit, Glück und Terror“, der 2024 den Hans-Fallada-Preis gewinnt, und vom Aufwachsen im Hoyerswerda der 1970er-Jahre bis zum September-Pogrom von 1991 und in die Gegenwart reicht. 

„In meiner Kindheit hat das Sorbische für mich keine Rolle gespielt. Es gab eben meine Oma, die dieses typische Lausitzer Deutsch gesprochen hat, das ganz klar vom Sorbischen geprägt war.“ Erst als Grit Lemke selber Sorbisch lernt, fällt ihr auf, dass das slawisch geprägte Deutsch, das ihre Uroma und Oma sprachen, grammatikalisch eng an die sorbische Sprache anlehnt. So verzichteten sie auf Umlaute oder verneinten doppelt. „‚Ich habe keine Zeit nicht‘ hat meine Oma immer gesagt. Als Kind fand ich das lustig.“ 

Erst viel später nimmt Grit Lemke ununterbrochen viele weitere Bezugspunkte zum Sorbischen wahr: Seien es die Nachnamen der Nachbarn in Hoyerswerda oder die ritualisierten Brauchtümer zu Ostern, sei es das Kopftuch, das ihre Oma immer getragen hat. „Wenn eine Familie aus der Lausitz ist – und das ist meine Familie zu 100 Prozent –, dann stellt sich die Frage: Wer ist eigentlich Deutsch?“  

Sorbische Tracht
Wer schön sein will … Der Haarschmuck der klassischen sorbischen Tracht sieht wunderschön aus, macht aber auch eine Menge Arbeit. Copyright: Neue Visionen Filmverleih

Je mehr sich die promovierte Ethnologin die Frage nach ihrer Herkunft stellte, desto stärker rückte das Thema Kolonialismus in den Fokus. „Unsere Vorfahren wurden seit Jahrhunderten gnadenlos germanisiert, und was ihnen widerfuhr, erinnert an eine koloniale Landnahme. Oft beschlich mich dabei das Gefühl, Ähnliches in den letzten dreißig Jahren auch erlebt zu haben. Jemand kommt und vermittelt dir: Du bist nicht gut genug. Der Andere ist der Maßstab, und du bist das Mängelexemplar. Gewissermaßen passiert mir das Gleiche wie meiner Urgroßmutter in ihrem sorbischen Dorf vor 150 Jahren. Und ich denke, diese verhängnisvolle Kette kann man nur durchbrechen, indem man davon erzählt.“  

„Das ist unsere Geschichte und jemand anderes erzählt sie nicht. Wenn die Geschichte schon hundert Mal erzählt worden wäre, hätte ich sie gar nicht erzählt.“ Grit Lemke 

Dass Heimat nicht immer leicht zu begreifen ist, thematisiert Grit Lemke deshalb in ihrem Dokumentarfilm Bei uns heißt sie Hanka/ PLA NAS GRONJE JEJ HANKA /POLA NAS RĚKA WONA HANKA, der ab 18. April in den Kinos gezeigt wird. Jahrhundertelang entrechtet und schließlich als ethnische Minderheit offiziell anerkannt, suchen viele Sorbinnen und Sorben heute nach der eigenen und kollektiven Identität. Eingebettet in die malerische Natur der Lausitz begleitet der Dokumentarfilm sorbische Menschen in ihrem Leben im Hier und Jetzt. Von der progressiven Künstlerin über traditionsbewusste Jungbauern bis zum intellektuellen Dichter könnten die Lebensentwürfe der sorbischen Gemeinschaft unterschiedlicher nicht sein. Vereint sind sie dennoch – in Sprache, Kultur und in dem Ringen um das Wiedererwachen der sorbischen Idee.  

Hanka
Die junge Anna „Hanka“ Wjesela setzt sich für den Erhalt des sorbischen Erbes und die Weiterführung der jahrhundertelangen Traditionen ein. Copyright: Neue Visionen Filmverleih

Es ist ein sehr persönliches Werk, in dem mit dem Klischee der Ostereier malenden, singenden und tanzenden Minderheit aufgeräumt wird. Sorbisches Brauchtum und die Kultur werden auf eine einzigartig facettenreiche Art und Weise dargestellt, die im engen Einklang mit der Landschaft dargestellt wird. Ein melancholisch anmutender Dokumentarfilm, für alle, die sich auf die Spur nach Identität und Heimat begeben möchten – nicht nur für Sorbinnen und Sorben. 

Kinoplakat "Bei uns heißt sie Hanka"
Erscheint am 18. April in den Kinos. Copyright: Neue Visionen Filmverleih

Weitere Informationen über Grit Lemke

Seit 1991 arbeitet die promovierte Ethnologin Grit Lemke in wechselnder Funktion für zahlreiche Festivals. Bis 2017 war sie als Leiterin des Filmprogramms bei DOK Leipzig tätig; beim FilmFestival Cottbus leitete sie bis 2022 die sorbische Sektion „Heimat | Domownja | Domizna“. Daneben kuratierte sie viele Filmreihen, unter anderem für die Akademie der Künste Berlin, das goEast Festival des mittel- und osteuropäischen Films Wiesbaden sowie für GoetheInstitute auf der ganzen Welt. Grit Lemke hatte Lehraufträge an verschiedenen Hochschulen und Instituten und arbeitete als Mentorin und Tutorin in Trainingsprogrammen. 

5 sorbische Vokalen zum Kinobesuch: 

Filmpremiere – filmowa premjera 

Dokumentarfilm – dokumentarny film  

Regisseurin – režiserka  

Kino – kino 

Sitzplatz – městno k sedźenju 

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Wie unsere Reise begann?

Es ist 5 Uhr morgens. Der Wecker klingelt und ich schaue durch das Fenster meines Berliner Altbauzimmers. Noch ganz schön dunkel, denke ich. Nochmal umdrehen? Geht nicht. Meine Leute und der Zug werden nicht warten und außerdem wollte ich ja früh los. Unser Ziel? Die Lausitz.
Beginne deine Reise ins Sorbische

Gibt es denn etwas, das du dir für die sorbische Sprache wünschen würdest?

Ich würde mir wünschen, dass die Sprache nicht verloren geht. Manchmal macht es mich echt nachdenklich, wenn drei Freunde, die eigentlich alle Sorbisch können, nur noch Deutsch miteinander sprechen.
DJ Madstep
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