Reisebericht: Warum Erwachsene noch Sorbisch lernen

Den langen Flur entlang steuere ich geradewegs auf den Raum zu. E207 – hier muss es sein. Ich bin heute zu Besuch bei einem Sorbisch-Sprachkurs für Erwachsene. Kurz bevor ich anklopfe, gehen mir noch ein paar Fragen durch den Kopf: Warum fängt man an, Sorbisch zu lernen? Und ist das als Erwachsener neben Berufsalltag und Freizeitstress überhaupt noch möglich und sinnvoll?

Von: Josi Altmann

Als ich eintrete, hat der Kurs bereits begonnen. Der Projektor wirft ein Video von einem sorbischen Lied an die Wand. Daneben steht ein Flipchart, auf dem in blauer und roter Schrift sorbische Sätze geschrieben stehen. Lesen kann ich sie selbst nicht. Vielleicht erfahre ich noch, was die Wörter bedeuten, denke ich und nehme Platz.

Der kleine Kurs hat sich mit Keksen und Tee auf meinen Besuch eingestellt und wir kommen nach einer kleinen Vorstellungsrunde ins Gespräch. „Warum unterrichten Sie Sorbisch?“, will ich vom Kursleiter wissen. Er selbst ist sorbischer Muttersprachler und sieht einen großen Wert in der Zweisprachigkeit. Dass andere eine weitere Sprache und mit Sorbisch auch die zweite Amtssprache der Region lernen wollen, motiviert ihn immer wieder aufs Neue.

Im Kurs hat niemand Vorkenntnisse. Alle sind bei null gestartet und lernen Sorbisch als ganz neue Sprache. Von den Vokabeln über die Grammatik bis zur Aussprache ist das eine Herausforderung, erzählt eine der Kursteilnehmerinnen. Die sympathische Mutter zweier Kinder ist in Zittau aufgewachsen und hat mit ihrem Mann vor ein paar Jahren das perfekte Familienhaus in Camina gefunden. Die Gemeinschaft in dem kleinen Dorf, das auf Obersorbisch Kamjenej heißt (vom sorbischen Wort kamjeń für „Stein“ abgeleitet), habe sie direkt herzlich aufgenommen, berichtet die Kursteilnehmerin in unserem Gespräch begeistert.

Was mich sehr beeindruckt, ist die Motivation der offenen Mittdreißigerin, Sorbisch zu lernen. Als sie nach Camina zogen, sei ihr bewusst gewesen, dass der Ort im sorbischen Siedlungsgebiet liegt und die mehrheitlich hier lebenden Familien auch Sorbisch sprechen. Wo andere eine Herausforderung gesehen hätten, erkannte die junge Mutter eine Chance: Weil sie findet, dass die sorbische Sprache ihren neuen Wohnort besonders auszeichnet, wollte sie sich bemühen die Sprache selbst zu verstehen und fing an, Sorbisch zu lernen.

Mit dem Erlernen der sorbischen Sprache will die engagierte Zittauerin vor allem eines vermeiden: dass ihre sorbischen Nachbarn automatisch in Deutsche wechseln, wenn die zugezogene Familie mit ihnen ins Gespräch kommt. Ihr Wunsch ist es, dass sich ihre Nachbarn auf Festen und am Gartenzaun weiterhin in ihrer Muttersprache unterhalten können. Mit dem Sprachkurs könne Sie ihren Teil dazu beitragen, dass die Sprache erhalten bleibt, die einfach zu ihrer neuen Heimat dazugehört. Auch ihre Kinder haben im Kindergarten bereits die ersten sorbischen Vokabeln gelernt und wechseln beim Spielen in der Nachbarschaft ganz selbstverständlich zwischen beiden Sprachen hin und her.

Beindruckt von diesem Gemeinschaftssinn lasse ich den Kurs weiterlernen und setze mich in ein Café, um meine Eindrücke in meinem Notizbuch festzuhalten. Auch die sorbischen Sätze von dem Flipchart habe ich hier notiert:

Kak so tebi wjedźe?     Wie geht‘s?
Měj so rjenje!     Tschüss (mach‘s gut)!
Wutrobny dźak.     Herzlichen Dank.
Prošu wodajće!     Entschuldigen Sie bitte.

Neben all den Gesprächen, die ich schon in der Lausitz führen durfte, war mein Besuch bei dem Sprachkurs ein weiteres bewegendes Beispiel dafür, dass Sprache verbindet.

Beitragsbild: Der Herbst ist die perfekte Jahreszeit, um eine neue Sprache zu lernen. (Foto: von Startup Stock Photos auf Pexels)

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Gibt es etwas, das du dir für die sorbische Sprache als Besonderheit der Lausitz wünschen würdest?

Es wäre schön, wenn das Interesse an der Sprache erhalten bleibt und auch bei Menschen geweckt wird, die in der Lausitz wohnen und die Sprache bisher noch nicht sprechen.
Lubina Jeschke
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