Prof. Dr. Goro Christoph Kimura lebt in Tokio. Während seiner Forschungszeit in der Lausitz verliebte er sich in die sorbische Sprache. Er schrieb seine Dissertation über die Erhaltung von Minderheitensprachen. Dank seiner Mutter konnten wir ihm zu seinem Geburtstag eine Freude machen, haben ihm ein Überraschungspaket von „Sorbisch? Na klar.“ gesendet und uns mit ihm über sorbische Sprachräume unterhalten.
Herr Kimura, Sie leben in Tokio, wo Sie unter anderem als Professor an der Sophia-Universität lehren. Wie kommt es, dass Sie sich für die sorbische Sprache interessieren?
Am Anfang war ein Foto von sorbischen Mädchen in Tracht. Als ich Germanistik-Student war, hat uns ein Professor einen Kalender mit Fotos aus Deutschland geschenkt. Auf dem Titelblatt war dieses Foto. Das Bild fand ich schön und ich las die Beschreibung: Die Sorben sind ein slawisches Volk in Deutschland. Mich interessierte, was das für ein Volk ist, sodass ich mich weiter informiert habe.
Was ist für Sie persönlich das Besondere an der sorbischen Sprache? Was macht Ihre Faszination aus?
Dass sich eine so kleine Sprache bis heute erhalten und eine eigene Kultur weiterentwickelt hat, ist eine beeindruckende Leistung. Besonders aus der Verbindung von Volkstum und Religion sind wunderschöne Bräuche entstanden. Diese Bräuche sind nicht museal, sondern lebendig. Das hat mich immer wieder fasziniert.
Können Sie selbst Sorbisch sprechen?
Ja, ich habe einige Male am Sprachkurs des Sorbischen Instituts in Bautzen teilnehmen dürfen. Das Weitere kam dann in der Praxis dazu.
Waren Sie schon einmal in der Lausitz und haben dort Ihre Sprachkenntnisse anwenden können?
Ja, wiederholt war ich zu Forschungszwecken und privat in der Lausitz. Da spreche ich immer Sorbisch.
Wie erhalten Sie Ihre Sprachkenntnisse im Alltag aufrecht? Können Sie in Tokio mit jemandem Sorbisch sprechen?
Ich höre jeden Tag das sorbische Radio, lese die sorbische Tageszeitung und abonniere einige sorbische Zeitschriften, alles elektronisch. Mit Freunden und Bekannten bin ich auch per Internet verbunden. Ab und zu kommt sogar jemand aus der Lausitz nach Japan, worüber ich mich immer sehr freue. Einige Zeit hat ein Sorbe in Tokyo gelebt, so dass wir ein „serbske blido“ (einen sorbischen Stammtisch) hatten.
Kürzlich erreichte Sie ein Paket mit einem eigens für Sie angefertigten „Sorbisch? Na klar.“-T-Shirt. Möchten Sie unserer Leserschaft verraten, was es damit auf sich hatte?
Meine Mutter wollte mir eine Freude zum Geburtstag machen. Da sie meine Liebe zum Sorbischen kennt, hat sie im Netz recherchiert und ist auf „Sorbisch? Na klar.“ gestoßen. Sie hat mit dem Team Kontakt aufgenommen, wo sie ein offenes Ohr und Entgegenkommen fand. So kam diese Überraschung zustande.
Überraschungspaket zum Geburtstag. Prof. Dr. Goro Christoph Kimura. (Foto: privat)
Wie reagieren Menschen in Ihrem Umfeld in Tokio darauf, wenn Sie diesen von der sorbischen Sprache erzählen?
In meinen Vorträgen erwähne ich, wie die Sorben ihre Zweisprachigkeit leben. Gerade vor kurzem habe ich in einem Vortrag für Eltern, die ihre Kinder mehrsprachig erziehen möchten, darüber gesprochen, wie man die Zweisprachigkeit pflegen kann und was das für eine Bereicherung ist. Es haben etwa 400 Eltern per ZOOM teilgenommen. Dabei habe ich sorbische Beispiele genannt. Nachher erhielt ich mehrere Anfragen, dass sie mehr über die Sorben wissen möchten.
Kennen Sie weitere Geschichten von Sprachfans, die außerhalb von Deutschland Sorbisch lernen?
Durch Sorbisch haben sich meine Kontakte auch nach Tschechien und Polen erweitert. Sorbisch ist für mich eine „internationale Sprache“, besonders in den slawischen Sprachraum. Aber auch in anderen Ländern sind Leute, die sich für Sorbisch interessieren. Neulich kam eine E-Mail von einem Studenten aus Amerika, der sich mit Blindenschrift für Sorbisch beschäftigt. In der heutigen Welt spielen geographische Entfernungen keine Rolle mehr.
Auch in Ihrer Dissertation beschäftigten Sie sich mit der Erhaltung und Wiederbelebung von Minderheitensprachen. Warum ist es Ihnen wichtig, dieses Thema auch wissenschaftlich zu behandeln?
Es gibt überall auf der Welt größere und kleinere Sprachen. Wie ein Zusammenleben von Menschen mit verschiedenen Sprachen möglich ist, ist ein wichtiges Thema. Vielleicht sogar eine der Grundfragen der Menschheit.
Was ist eine Erkenntnis aus Ihrer Dissertation, die Sie mit uns teilen möchten?
Aus meiner Feldforschung konnte ich darstellen, wie im Alltag sorbische Sprachräume geschaffen werden. Die Kirche vor Ort spielt dabei eine wesentliche Rolle. Ich bin überzeugt, dass es ohne die bewusste Pflege in der Kirche heute kein Sorbisch mehr geben würde, zumindest nicht als lebendige Sprache. Solch ein ideeller und praktischer Rückhalt ist für den Spracherhalt unentbehrlich. Allein von der offiziellen Politik oder aus reiner Tradition lässt sich keine Sprache erhalten. Das gilt übrigens auch für größere Sprachen.
Was wünschen Sie sich als Wissenschaftler, aber auch als Privatperson für die sorbische Sprache und weitere Minderheitensprachen?
Dass man auch in Gegenwart von denjenigen, die Sorbisch (oder andere Minderheitensprachen) nicht verstehen, ohne Vorbehalte Sorbisch sprechen kann. Sorbisch spricht man ja nicht – das kann ich aus eigener langjähriger teilnehmender Beobachtung bezeugen –, um im Geheimen über andere zu sprechen, sondern weil das die Sprache ist, in der man sich zu Hause fühlt. Die eigene Sprache auch in der Öffentlichkeit sprechen zu können, sollte kein Privileg nur für diejenigen sein, deren Muttersprache von der Mehrheit in einem Land gesprochen wird.
Möchten Sie noch einen dreisprachigen (Deutsch, Japanisch, Sorbisch) Gruß an unsere Leserschaft aussprechen?
Wězo najprjedy serbsce. Jara so wjeselu, zo móžu z materialom, kotryž sym k narodninam dostał, wědu wo serbšćinje zajimcam w Japanskej posrědkować. ソルブ語を学ぶと新しい世界がみえてきますよ。Ich hoffe, dass Sorbisch auch Ihnen die Tür zu einer neuen Welt öffnet, so wie ich es erleben konnte.
Wir danken Ihnen für das Interview.
Beitragsbild: Prof. Dr. Goro Christoph Kimura bei einem Vortrag. (Foto: privat)