Von Freitag bis Sonntag, 30. Juni bis 2. Juli, findet im Rahmen des 27. Bautzener Theatersommers die Konferenz „Phōnē – Giving Minority Languages a Voice“ zum Thema Regional- und Minderheitensprachen statt. Madleńka Šołćic, Dramaturgin und Stellvertreterin des Intendanten für sorbisches Theater am Deutsch-Sorbischen Volkstheater, erklärt im Gespräch mit der Sächsischen Zeitung, was dabei geplant ist.
SZ Bautzen vom 30. Juni 2023, S. 16, von Katja Schlenker
Frau Šołćic, was hat es mit dem Projekt „Phōnē“ auf sich?
Dabei handelt es sich um ein erstes kleines Netzwerk, dessen Ursprung im Jahr 2012 liegt. Damals fand die Europeada, die Fußball-Europameisterschaft der sprachlichen Minderheiten, in der Lausitz statt, und es wurde ein erstes Kolloquium veranstaltet. Auch 2014 und 2016 haben wir uns zum Beispiel wieder getroffen und immer versucht, ein gemeinsames Projekt zum Thema Regional- und Minderheitensprachen im Theater anzustoßen. Im Juli 2022 ist uns das mithilfe von EU-Mitteln gelungen.
Wer ist daran beteiligt?
Acht Theater haben sich für das Projekt zusammengeschlossen. Neben dem Deutsch-Sorbischen Volkstheater sind dies das Tryater der Friesen aus den Niederlanden, das Teatr Piba der Bretonen aus Frankreich, das jiddische Teatrul Evreiesc de Stat aus Rumänien, das galicische Theater Agadic aus Spanien, das Stadttheater Bruneck der Ladiner aus Südtirol, das Fibin Theorant aus Irland und das kvenische Itu Teatteriforeeninki aus Norwegen. Die Universität Leipzig und die Hochschule Groningen aus den Niederlanden begleiten das Projekt wissenschaftlich.
Wie muss man sich die Zusammenarbeit vorstellen?
Jedes der Theater entwickelt ein Stück, das von den einzelnen Minderheiten erzählt. Allein in der Europäischen Union leben um die 50 Millionen Menschen, die einer Minderheit angehören. Bei rund 450 Millionen Einwohnern in EU-Ländern ist das ungefähr jeder Zehnte, der quasi eine zusätzliche Identität hat. Egal, ob wir es regional, indigen oder Minderheit nennen – diese Menschen leben immer am Rand des nationalen Bewusstseins.
Mit Phōnē wollen wir versuchen, sie und ihre Sprache in den Fokus zu rücken. So feiert „Hercy“, das im Rahmen und durch das Projekt entstandene Schauspiel von Lubina Hajduk-Veljkovićowa, am 10. Februar 2024 seine Uraufführung im Deutsch-Sorbischen Volkstheater. Parallel dazu ist eine Bürgerbühne geplant. Das Thespis-Zentrum wird gemeinsam mit sorbischen, syrischen und ukrainischen Jugendlichen eine Inszenierung erarbeiten und bei einem Festival vorstellen.
Am Wochenende gibt es nun im Rahmen des Projekts eine Konferenz in Bautzen – was erwartet Besucher dort?
Zu Beginn stellen sich die teilnehmenden Theater in ihrer eigenen Sprache vor. Wir überlegen momentan noch, wie wir das vermitteln. Wenn wir zum Beispiel Aufführungen in sorbischer Sprache haben, gibt es eine Simultanübersetzung oder Untertitel. Wenn wir das hier so machen, führt das jedoch dazu, dass die Ursprungssprache weg ist, weil man dann der Übersetzung zuhört oder mitliest. Was wir erreichen wollen, ist aber, dass erstmal die Sprache erklingt und der Erstkontakt mit dieser ein Erlebnis wird. Für diese Konferenz gibt es eine App, in der man auf jeden Fall die Übersetzungen nachlesen kann und auch das gesamte Programm der Konferenz zum Nachlesen findet.
Wer hat die weiteste Anreise zur Konferenz?
Es werden Vertreter aus 15 Ländern dabei sein. Die weiteste Anreise haben sicher die Noongar, eine indigene Gruppe aus dem Südwesten Australiens, die Teilnehmer aus Kanada und Hawaii.
Wie geht es nach der Eröffnung weiter?
Es wird im Rahmen der Konferenz verschiedene Vorträge geben zu Themen, die das Theater betreffen. Es gibt viel zu erzählen, weshalb kurz, informativ und prägnant über die verschiedenen Problematiken gesprochen werden soll. Außerdem soll es die Möglichkeit zur Diskussion geben. Die grundsätzliche Sprache der Konferenz ist Englisch, weil uns das alle verbindet. Außerdem wird noch ein besonderes Projekt bei der Konferenz vorgestellt.
Welches ist das?
Es handelt sich um eine Virtual-Reality-Installation, welche die Kusunda in Nepal thematisiert. Das ist eine ethnische Gruppe, der nur noch zwischen 100 und 200 Personen angehören. Folglich geht es bei dem Projekt auch um das Verlieren und Wiederfinden der Sprache. Es soll als Inspiration dienen.
Welche Rolle wird das Sorbische bei der Konferenz spielen?
Unter anderem besuchen die Teilnehmer eine Vorstellung des deutsch-niedersorbischen Puppen- und Schattenspiels „Narske bajki“, für die Konferenz in englisch-niedersorbischer Variante. Des Weiteren werden Vertreter von Domowina und der Stiftung für das sorbische Volk sprechen. Außerdem wird es einen Vortrag zu Aspekten der sorbischen Soziolinguistik von Eduard Werner von der Universität Leipzig geben.
Was ist das Ziel der Konferenz?
Ziel ist, eine gemeinsame Charta der Minderheitentheater in Europa zu erarbeiten. In Form von Workshops soll diese von den Teilnehmern des Netzwerks formuliert werden. Aus Bautzen heraus soll der Impuls für ein noch größeres Netzwerk entstehen. Alle, die einer indigenen Sprachgruppe oder Minderheitenkultur angehören, versuchen, sich gegenüber der sie umgebenden Mehrheitskultur zu behaupten.
Es besteht die Angst, dass sich dieses kleine Universum, das sie in sich tragen, im Großen auflöst. Bei Phōnē geht es auch darum, wie Theater diese Minderheitensprachen befördern und wiederbeleben können, denn bei Sprache gibt es eine ganz klare Grenze, wenn man diese nicht versteht. Theater hat hier die Möglichkeit zu vermitteln.
Das Deutsch-Sorbische Volkstheater in Bautzen ist Gastgeber einer Konferenz für Minderheitensprachen. Die SZ sprach mit der Dramaturgin und Stellvertreterin des Intendanten für sorbisches Theater über das Projekt.
Foto: Steffen Unger
Im Nachgang haben wir Anna Měrćinowa / Mirtschin vom Deutsch-Sorbischen Volkstheater gefragt, wie sie die Veranstaltung wahrgenommen und welches Feedback sie erhalten hat.
Hallo Anna, wie hast du die Konferenz erlebt?
Sie war ein großer Erfolg! Vertreter von 15 verschiedenen Minderheitentheatern aus der ganzen Welt haben sich das erste Mal in Bautzen getroffen. Wir, das Deutsch-Sorbische Volkstheater (DSVTh), konnten Gastgeber sein und den anderen Theatern zeigen, wie und wo wir arbeiten. Dabei wurde auch deutlich, dass wir mit unserem Deutsch-Sorbischen Theater eine Besonderheit darstellen. Nirgendwo sonst in Europa arbeiten Minderheitensprache und Mehrheitssprache so eng zusammen in einem Theaterhaus.
Welchen Eindruck hast du von der Konferenz gewonnen?
Ich habe einen umfassenden Eindruck von der Vielfalt der unterschiedlichen „kleinen Sprachen“ gewonnen. Teilgenommen haben Vertreter von anerkannten Minderheitensprachen, von Regionalsprachen sowie indigenen Sprachen. Die Ausgangssituation der einzelnen Sprachen ist so unterschiedlich, wie die Theater es sind.
Vertreten waren Sprachen, die kaum noch gesprochen werden oder die gerade eine Wiederbelebung erleben, wie das Squamish/Küsten Salish in Kanada. Irisch zum Beispiel ist in Irland Amtssprache, aber dennoch eine Minderheitensprache. Auch Galicisch wird von 3 Millionen Menschen gesprochen, hat politisch in Spanien aber durchaus den Status einer Minderheitensprache.
Die Voraussetzungen sind unterschiedlich, dennoch – oder gerade deswegen – haben wir uns auf der Konferenz auf die Suche begeben, was uns alle miteinander verbindet. Theater bieten immer zusätzliche Sprachräume für Menschen, die die Sprache verstehen. Auch für die, die sie nicht (mehr) verstehen, bieten sie einen niedrigschwelligen Zugang – Theater ist eben nicht nur Sprache, sondern bietet auch die Möglichkeit der nonverbalen Kommunikation.
Außerdem haben wir darüber gesprochen, wie wir in Zukunft noch besser zusammenarbeiten können, uns austauschen, nicht nur rein informativ, sondern auch ganz praktisch, konzeptionell, in Form von Theaterstücken, Ausstattung usw. Den meisten Theatern fällt es nicht leicht, Autoren zu finden, die Dramatik in ihrer Sprache schreiben. Aber auch da könnte man sich in Zukunft vielleicht unter die Arme greifen.
Was war dein persönliches Highlight?
Für mich war die Eröffnungsveranstaltung am Freitag auf der Hauptbühne im großen Haus unseres Theaters ein Highlight. Einzelne Vertreter der Theater stellten sich in ihrer Sprache dem Publikum in einem theatralen Programm vor. Zwei Vertreter des DSVTh, István Kobjela und Anna-Maria Brettschneider, führten durch das Programm und begrüßten die einzelnen Teilnehmer am „Sorbian Airport“. Wie am Flughafen üblich, mussten die Gäste sich erst einmal durch eine Sicherheitsschleuse begeben, welche aber Verständnisprobleme hatte und von jedem Einzelnen weitere Kostproben der Sprache abverlangte.
Es wurden Lieder gesungen, Gedichte rezitiert und mit dem gesamten Saal getanzt. Das Programm gab einen Einblick, wie sich jede einzelne Sprache auf der Bühne behauptet, wie sie ist und wie man als Zuschauer Sprache – auch wenn man sie nicht versteht – einfach mal nur auf sich wirken lassen kann.
Wie war das Feedback zur Veranstaltung?
Austausch mit anderen ist immer eine Bereicherung! Was funktioniert gut? Welche Erfahrungen wurden gemacht? Welche Schritte lassen sich auch noch gehen, welche Wege sind eventuell schon geebnet …? Auf der Konferenz wurde der Grundstein für ein Netzwerk von Minderheitentheatern gelegt – welches so, national und international, noch nicht existiert. Ziel ist es, ein dauerhaftes, vitales Netzwerk, welches über das Projekt „Phōnē“ hinaus bestehen und weiter wachsen soll.