„Durch die Musik und die sorbische Sprache entsteht eine Verbindung, die ganz tiefgreifend ist“ – Interview mit dem Musiker Felix Räuber.

Mit seiner Band Polarkreis 18 („Allein, allein“) feierte der Dresdner Musiker Felix Räuber weltweite Erfolge. In seinem neuesten Projekt „Wie klingt Heimat?“ entdeckt er die Klänge und Töne seiner Heimat Sachsen neu. Im Interview spricht er über die Dokureihe, wie daraus Kompositionen entstanden und warum ihn die Sprache und Musik der Sorben so beeindruckt haben.

Von: Josi Altmann

Lieber Felix, in dem Projekt „Wie klingt Heimat“ begibst du dich auf eine 10-teilige Entdeckungsreise durch Sachsen. Wie würdest du das Projekt beschreiben? Und was hat dich dazu angetrieben?

Ich würde es als eine akustische Spurensuche beschreiben. Eine Spurensuche und Entdeckungsreise, die durch meine Heimat Sachsen verläuft. Die Idee dazu kam mir zusammen mit meinem lieben Freund Oliver, dem Autor des Projekts, bei einem gemeinsamen Interkontinentalflug aus Nordkorea. Wir fragten uns: Warum fliegen wir durch die Welt, wenn wir nicht einmal genau wissen, was vor unserer Haustür passiert?

Was genau erwartet die Zuschauer der Dokureihe?

Wir besuchen ganz unterschiedliche Orte, Menschen und Kulturkreise. Die erforschen wir musikalisch und audiovisuell. Dabei beginnt alles mit unserer Urheimat, der Natur. Wir alle sind mit der Natur verbunden. Ohne die Natur wäre der Mensch entwurzelt. Hier beginnen wir im Zittauer Gebirge und nähern uns da den Tönen und Klängen: vom Gesang der Drossel bis hin zum Rauschen des Windes über die Blätter einer Linde. So folgen wir dem Pfad zu den Menschen und der Musik, die sie verbindet.

Bei deiner Reise besuchst du auch die Lausitz und triffst viele Sorben. Welchen Eindruck hast du von der Region?

In der dritten Episode „Wie klingt Glauben?“ geht es um die Sorben, die sorbische Kultur und ihre Sprache. Was mir aufgefallen ist: Die Sorben im eigentlichen Sinne gibt es gar nicht. Jede Region hat ihre besonderen Traditionen und sprachlichen Besonderheiten.

Ich würde das als Kulturinseln beschreiben: Sie sind teilweise sehr unterschiedlich, haben aber doch einige Gemeinsamkeiten. So wie es in Nordostsachsen zum Beispiel noch einige wenige Schleifer Sorben gibt, deren Sprache in hohem Maße vom Aussterben bedroht ist, die sie aber dennoch versuchen, am Leben zu erhalten – etwa mit Liedern auf Schleifer Sorbisch, wie sie der Verein „kólesko“ pflegt, mit welchem wir gedreht haben.

Gibt es etwas, das dich bei den Sorben besonders beeindruckt hat oder dir im Kopf geblieben ist?

Das war einmal die Tatsache, dass ich eine Familie beim Osterreiten begleiten durfte. Ich war beim kompletten Alltag dabei: vom Frühstück bis zum Abendbrot. Ich habe sie begleitet, wie sie die Pferde gestriegelt haben. Wie sie sich die Trachten anlegten. Wie sie zu Ostern ausreiten und gemeinsam singen.

Diese Bräuche waren für mich sehr spannend und auch akustisch eine Entdeckungsreise: Das Striegeln der Pferde hat einen besonderen Klang, genau wie das Traben. Oder wie die Kinder mit Holzpferden durch die Dörfer ziehen und Rasseln klappern lassen. Und generell habe ich sehr viel Offenheit und Nächstenliebe bei den Sorben gespürt. Ich habe einen Laienchor besucht – die Menschen waren immer offen und gesprächsbereit.

Du selbst sprichst kein Sorbisch. Welchen besonderen Klang hat diese Sprache für dich als Musiker und nicht-sorbischer Muttersprachler?

Die Sprache der Sorben ist sehr klangvoll. Sie klingt wahnsinnig stolz, ist würdevoll und hat etwas Erhabenes. Und wenn man dann diese Sprache in einem Chor erlebt, denkt man: Wow, dieses Erhabene klingt sehr schön. Beeindruckend finde ich noch, dass alle Sorben auch fließend Deutsch sprechen, und man merkt ihnen kein bisschen an, dass das nicht ihre Muttersprache ist.

Beim Ostersingen warst du in einer Kapelle und hast einen Chor getroffen. Wie hat die Sprache im Gesang auf dich gewirkt?

Das war für mich eine ganz ehrfürchtige Erfahrung. Ich war dort hingegangen, ganz offen für neue Einflüsse. Ich hatte keine Ahnung, was mich da erwartet. Aber diese musikalische Begeisterung, das war schon etwas Einmaliges. Ich habe gespürt, dass durch die Musik und diese Sprache eine Verbindung entsteht, die ganz tiefgreifend sind. Gleichzeitig sind mir die Menschen mit einer Offenheit und Herzlichkeit begegnet, ganz auf Augenhöhe. Es war eine sehr schöne und innige Erfahrung. Aus dieser habe ich dann die Symphonie der Sorben komponiert.

Hier kannst du in die Sinfonie der Sorben reinhören

Zum Ostersingen in der Kapelle

Ostern ist für die Sorben ein ganz besonderes Fest, bei dem mit dem Osterreiten die Auferstehung Jesu Christi verkündet wird. Du warst auch beim Osterreiten dabei und gehörtest zu den Zuschauern. Welchen Eindruck hattest du davon?

Wenn ich es in einem Wort zusammenfassen müsste, wäre das: Gemeinschaft. Es gibt einen extrem großen Zusammenhalt. Der umgreift auch meist mehrere Generationen. Ich erinnere mich noch gut, wie ich im Wohnzimmer des Kantors der Osterreiter der Gemeinde Ralbicy-Róžant/Ralbitz-Rosenthal saß.

Er wohnt dort mit seinem Vater und Großvater, dann kommt der Nachbar vorbei und die Schwester mit ihrem Sohn. Man spürte richtig die Verbundenheit der Gemeinschaft. Das war eine schöne Erfahrung. Ich spürte hier auch bei mir den Wunsch und eine gewisse Sehnsucht, etwas von dieser Gemeinschaft und Verbundenheit in mein Leben mitzunehmen.

Begleitung des Osterreitens

Wenn wir über Klänge und Töne sprechen: Was bedeutet Heimat für dich?

Ich bin im Elbhang in der Region Dresden großgeworden. Heimat ist für mich auch immer ein Stück Kindheitserinnerung. Und diese Akustik, ins Elbtal hinabzuhören und das Signalhorn der Elbdampfer zu hören, das ist für mich Heimat, ein Stück Kindheitserinnerung. Oder der Kreuzchor in der Christmesse früher – dieses Ritual, jedes Jahr um die gleiche Zeit der Messe zu lauschen, das Läuten der Glocken – das ist für mich ebenfalls ein Stück Heimat. Aber auch Berlin, wo ich einen Wohnsitz habe, bietet einige Klänge, die nach Heimat klingen, mit dem Lärm und der sehr eigenen Technokultur.

Aus den Klängen der Heimat willst du auch eigene Kompositionen kreieren – was inspiriert dich hier? Kannst du an einem Beispiel erklären, wie du bei der Komposition vorgehst?

Es geht mir da vor allem um Offenheit. Die versuche ich zumindest zu behalten. Und dann passiert ganz viel Unerwartetes. Zum Beispiel wenn ich in der Region des Erzgebirges spüre, wie das Steigerlied noch immer eine Rolle spielt und Gemeinschaft fördert. Dabei ist es aus Zeiten, in denen die Leute in Gruben stiegen, um Erz zu schürfen. Und genau diese unerwarteten Klänge und Eindrücke sind das Spannende, was mich inspiriert.

Am 7. Juni 2022 wollt ihr eure musikalische Reise als Aufführung im Dresdner Kulturpalast präsentieren. Was dürfen die Gäste erwarten?

Der Titel ist „Sinfonie der Kulturen“, und genau darum wird es gehen. Wir bringen all die verschiedenen Menschen und Kulturen, die ich auf der Reise erleben durfte, auf der Bühne zusammen. Es werden 30 bis 40 Leute auf der Bühne stehen, wir werden gemeinsam musizieren und singen und das Beste unserer Heimatkulturen präsentieren. Ich kann das wirklich nur jedem ans Herz legen, der sich für die Klänge der Heimat interessiert. Es wird wirklich toll und bereichernd.

Das Sorbische gilt als Sprache, die vom Aussterben bedroht ist. Was wünschst du dir für die Sprache bzw. für den Umgang mit der Sprache? Wie wichtig ist es für dich als Außenstehender, dass die Sprache erhalten bleibt?

Dort, wo ich war, erscheint mir die Sprache nicht als vom Aussterben bedroht. Die Sorben haben einen sehr aktiven Kulturkreis, der sehr lebendig ist und die Sprache am Leben erhält. Aber generell denke ich: Die Sprache ist eine Bereicherung für unser Land. Die Frage ist, wie offen wir anderen dafür sind.

Also: Inwiefern sind wir imstande, über den eigenen Tellerrand zu schauen? Es ist doch spannend, zu gucken: Was gibt es denn noch außer mir in der Welt? Neue kulturelle Einflüsse und kulturelle Vielfalt sind doch das Interessante im Leben. Wenn ich das zulasse, ist es eine Erweiterung und Inspiration und bereichert meinen Lebensraum. Das können wir alle zulassen. Ich hoffe, dass „Wie klingt Heimat“ dazu anregt: dass wir über den eigenen Lebensraum Neues lernen.

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Was wünschen Sie sich für das Schleifer Sorbisch?

Was man jetzt nicht erhält, wird auch in der Zukunft nicht mehr da sein. Jemand, der jetzt die Sprache spricht, sollte sie deswegen auch weitergeben. Denn jede Sprache ist ein Schatz, den wir bewahren sollten.
Juliana Kaulfürst
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