Der Pfarrer, der als Erwachsener noch Sorbisch lernte und davon begeistert ist

Christoph Rummel ist Gemeindepfarrer in Göda, in der Nähe von Bautzen. Er selbst ist in Leipzig aufgewachsen, hat aber 2008 mit seinem Wechsel nach Göda als Erwachsener noch Sorbisch gelernt. Seit Oktober 2020 ist er zudem Superintendent und vertritt die Interessen der evangelischen Sorben in der Region. Wir sprachen mit ihm über seine Motive, Sorbisch zu lernen und über seine Arbeit als Superintendent.

Von: Linda Napier

„Für mich ist es eine reine Freude, eine neue Sprache zu erlernen“

Herr Rummel, Sie sind kein sorbischer Muttersprachler, haben aber als Erwachsener 2008 noch einmal Sorbisch gelernt. Wie kam es dazu?

Tatsächlich hatte ich einfach Lust auf die Sprache. Für mich ist das eine reine Freude, eine neue Sprache zu lernen. Denn so kann ich auch viel besser eintauchen in die Kultur einer Region. Das hatte mich schon damals fasziniert, als ich während meines Theologiestudiums ein Jahr in Siebenbürgen verbrachte. Da sprachen manche Menschen vier Sprachen nebeneinander. Die konnten Ungarisch, Siebenbürgisch-Sächsisch, Rumänisch und Deutsch. Diese Zeit war für mich sehr prägend, ich hatte auch viel Freude daran, Rumänisch zu lernen.

Sie kommen ursprünglich aus der Region südlich von Leipzig. Hat Ihnen das Sorbische geholfen, um in der Region und Gemeinde Göda Fuß zu fassen?

Das hatte für mich zunächst kaum bis gar keine Vorteile. Das Sorbische ist in der Region stark zurückgedrängt worden. Bis zum Zweiten Weltkrieg war es noch sehr stark verbreitet, danach wurde es weniger. In der Gemeinde sind es vielleicht 20 Leute, die noch Sorbisch können. Das ist allerdings eine sehr aktive Gruppe. Die freuen sich richtig, wenn man sich mit ihnen auf Sorbisch unterhält.

Spielt das Sorbische für Sie eine Rolle bei den Gottesdiensten oder Ihrer Arbeit als Pfarrer?

2012 haben wir erstmals nach 25 Jahren wieder Gottesdienst auf Sorbisch angeboten und bieten diese inzwischen zwei Mal im Jahr an. Für mich ist aber die Sprache hauptsächlich wichtig, um in die Mentalität einer Gemeinde einzutauchen. Und mir ist es ein Herzensanliegen, den Menschen hier etwas von der Sprache ihrer Großeltern und Urgroßeltern mitzugeben. Darum lass ich in den deutschen Gottesdiensten auch zweisprachige Sätze einfließen wie etwa beim Abschlussgebet. Oder in den Kinderchören, die ich leite, bringe ich sorbische Lieder oder Texte mit ein.

Wie reagieren die deutschsprachigen Kinder auf sorbische Lieder und Texte?

Bei den Kindern gibt es manchmal Vorbehalte. Sie verstehen nicht, warum sie als Deutsche in einer anderen Sprache singen sollen. Aber ich mache es kindgerecht und schreibe die sorbischen Wörter quasi in deutschen Lautformen. Am Ende sind sie oft begeistert und singen die Lieder mit viel Freude mit.

Hat sich in Göda die Sicht auf die sorbische Sprache in den letzten Jahren verändert?

Ja, der Umgang ist sehr viel lockerer geworden. Ich habe früher öfter Vorbehalte und Ablehnung gespürt, aber inzwischen ist es ein freundliches Nebeneinander der Sprachen. Es gibt zum Beispiel auch mehr zweisprachige Schilder auf der Straße. In einem Nachbarort erfreut sich auch der WITAJ-Kindergarten einer größeren Beliebtheit.

Inwieweit hat sich mit dem Lernen der sorbischen Sprache Ihr Blickwinkel verändert?

Die slawische Sprachwelt ist doch eine ganz eigene Sprachwelt. Es gibt viel, was anders ist als im Deutschen. Hinter jeder Sprache steckt ja auch eine Perspektive, die Welt zu betrachten. Im Deutschen haben wir zum Beispiel viele abstrakte Begriffe, die im Sorbischen nicht funktionieren. Das merke ich bei meinen Predigten. Ich kann eine Predigt vom Deutschen ins Sorbische nicht eins zu eins übertragen. Umgekehrt funktioniert das hingegen gut. Im Sorbischen werden mehr Verben verwendet, das macht die Sprache lebendiger.

Seit Oktober 2020 sind Sie Superintendent. Sie kümmern sich also um die Belange und die geistliche Betreuung der evangelischen Sorben. Was heißt das für Sie konkret im Alltag? Wie hat sich dadurch Ihre Arbeit verändert?

Die Aufgaben sind sehr vielfältig. Beispielsweise beantworte ich Medienanfragen. Alle zwei Wochen überträgt der MDR ja evangelische Radiopredigten auf Sorbisch, die ich dann zum Teil halte. Es gibt viel zu organisieren, ich bin an Publikationen beteiligt und vertrete die evangelischen Sorben zum Beispiel gegenüber der sächsischen Landesregierung. In Sachsen gibt es drei evangelische Pfarrer, die Sorbisch können oder lernen, in Brandenburg fünf.

Gibt es etwas, das Sie sich als nicht-sorbischer Muttersprachler für die Sprache wünschen?

Aktuell ist mein Eindruck, dass da schon viel passiert ist. Als ich Sorbisch gelernt habe, gab es nur wenige Mittel, um die Sprache zu lernen. Inzwischen gibt es zum Beispiel auch Online-Angebote. Das wurde in den letzten vier Jahren stark ausgebaut. Ich wünsche mir, dass das weiterentwickelt wird. Wir sollten auch mehr die technischen Möglichkeiten nutzen, um die Sprache am Leben zu erhalten. Und ich fände es schön, wenn hier in der Region die Kinder in der Grundschule ganz automatisch auch ein paar sorbische Worte mitbekämen. Das würde viel bringen und unsere Gesellschaft offener machen.

 

Bildrechte: Christoph Rummel

Wenn du Lust bekommen hast, mehr über die sorbische Sprache zu erfahren und vielleicht selbst einmal einen Sorbisch-Kurs zu besuchen, kannst du dich hier informieren:

  • Wikibooks zeigt dir Zahlen und obersorbische Sprüche
  • Auf soblex findest du ein Deutsch-Sorbisches Wörterbuch für schnelle Übersetzungen
  • Auf diesen Seiten findest du nützliche Informationen, um Sorbisch zu lernen
  • Das WITAJ-Sprachzentrum Bautzen bietet Sorbisch-Kurse für jede Altersklasse
  • Diese Seite ist nicht nur etwas für Lehrende. Alle Interessierten können hier in 100 Sekunden sorbische Redewendungen lernen.
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Was man jetzt nicht erhält, wird auch in der Zukunft nicht mehr da sein. Jemand, der jetzt die Sprache spricht, sollte sie deswegen auch weitergeben. Denn jede Sprache ist ein Schatz, den wir bewahren sollten.
Juliana Kaulfürst
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