Viele stellen sich unter dem Christkind ein blondgelocktes Kind mit Flügeln und einem Heiligenschein vor. Das sorbische Christkind, das Bože Dźěćatko, unterscheidet sich von dieser Darstellung. Wir haben mit Kirsten Böhme über den Brauch und den Ursprung gesprochen.
Viele stellen sich unter dem Christkind ein blondgelocktes Kind mit Flügeln und einem Heiligenschein vor. Wie unterscheidet sich das Sorbische Christkind, das Bože Dźěćatko, von dieser Darstellung?
Unser Bože Dźěćatko, das göttliche Kindchen, hat weder Flügel noch Heiligenschein. Es wird stattdessen mit Teilen der sorbischen Tracht dargestellt. Man erkennt es am leisen Klang seines Glöckchens und anhand der bändergeschmückten Rute. Es fliegt nicht wie das Christkind durch die Gegend, sondern geht mit seinen Begleiterinnen durch die Straßen, so sagen es die Sorben um Hoyerswerda, im Schleifer Kirchspiel sowie in Jänschwalde.
Mitunter wird es auch “Bescherkind” genannt, aber wir freuen uns, wenn die sorbische Originalbezeichnung verwendet wird. Auch wenn das ein Zungenbrecher ist, kann man es doch probieren, ungefähr so: bosche dschitschatko. Und wem es nicht gelingt, der sollte sich vergegenwärtigen, dass das sorbische Bescherkind keine Geschenke verteilt, sondern Gesundheit und Segen beschert.
Jedes sorbische Dorf hat sein eigenes Bože Dźěćatko und jedes dieser Christkinder trägt eine einzigartige, unverwechselbare Tracht. Können Sie anhand der Tracht das sorbische Dorf bestimmen?
Ja, ich kann anhand der Tracht das Dorf bestimmen, wobei man sagen muss, dass nicht jedes einzelne Dorf eine individuelle Tracht für diesen Brauch hat. Es gibt drei sorbische Regionen, in denen die Trachten unterschiedlich aussehen: Hoyerswerda und Umgebung, das Schleifer Kirchspiel sowie in Jänschwalde. Die Farben geben dabei wenig Auskunft, da alle Farben erlaubt sind. An den Details, den Trachtenteilen, kann man aber erkennen, wo das Bože Dźěćatko herkommt. So fallen die Schürzen beispielsweise unterschiedlich aus, aber auch die Schleifen und Ärmel.
Welcher Brauch ist mit dem Sorbischen Christkind verbunden und was können wir davon lernen in der heutigen Zeit?
Der vorchristliche Brauch um das Bože Dźěćatko erinnert an eine Zeit, in der Spiritualität eine große Rolle gespielt hat und als das Jahr, so wie heute, nicht erst mit dem Jahreswechsel zu Ende ging, sondern wenn die Ernte eingefahren und somit das Landwirtschaftsjahr beendet war. Nach dem Erntedankfest und dem Schlachten der Martinsgans folgte zunächst die sechswöchige Fastenzeit.
Tanzveranstaltungen gab es dann auch nicht mehr. Dementsprechend war der Advent eine sehr stille Zeit, in der alles zur Ruhe kam. Das ist in der heutigen, sehr hektischen und kommerzialisierten Zeit leider verloren gegangen. Ich würde mich freuen, wenn sich die Menschen wieder auf diese Entschleunigung zurückbesinnen, gerade in Zeiten der Pandemie.
Welche Aufgaben hat das Sorbische Christkind in der Vorweihnachtszeit?
Das Christkind hat keine Aufgaben als solche, es ist ein himmlisches Wesen. Ein Schutzengel hat in dem Sinne ja auch keine Aufgabe, abgesehen davon, dass er uns beschützen soll. Ich möchte nochmal auf den spirituellen Aspekt zurückkommen. Geendet hat das Kirchenjahr schließlich mit dem Totensonntag. Uns wird vergegenwärtigt, dass das Leben endlich ist.
Heute sagt man Vorweihnachtszeit, was sich für mich fast so anhört wie das Wortkonstrukt „Jahresendfigur” für einen Weihnachtsengel. Die Vorweihnachtszeit ist der Advent und der Advent ist die Zeit der hoffnungsvollen Erwartung auf die Geburt des Christkindes. Es ist eine Zeit, die uns Hoffnung geben soll, dass ein Licht kommen wird. Auch die Juden feiern diese Zeit mit dem Lichterfest Chanukka und auch bei den heidnischen Völkern Europas wurde schon immer die Wintersonnenwende gefeiert.
Wenn das Sorbische Christkind überhaupt eine Aufgabe hat, dann ist es Hoffnung, Gesundheit und positives Gedankengut in eine dunkle Zeit zu bringen.
Das Sorbische Christkind taucht mit zwei Begleiterinnen auf. Um wen handelt es sich da?
In den letzten dreißig Jahren wurde der Brauch des Sorbischen Christkinds durch Vereine gepflegt. Der Brauch, wie wir ihn von unseren Großmüttern und Urgroßeltern kennen, entstand aber viel früher. Es war eine Zeit, in der es so genannte Spinten, also Spinnstuben, gab. Dort trafen sich die großen Mädchen, die bereits konformiert, aber noch nicht verheiratet waren. Wir sprechen von Mädchen zwischen 14 und Anfang 20. Diese Mädchen wollten gerne mal flüchten, verständlich, wenn man im Winter so eng mit der Familie zusammengehockt hat.
Heute würde man sagen: Ich gehe mal zur Marie, Hausaufgaben machen. Dass nicht immer Hausaufgaben gemacht werden und sich die Marie auch mal als Robert entpuppt, kann man sich gut vorstellen. Und so haben sich die Mädchen das Spinnrad geschnappt und zur Mutter gesagt: Ich gehe mal schnell zur Spinte. Die Jungs im gleichen Alter schauten natürlich auch, wo die Mädchen sich trafen und stromerten dann um die Spinnstube herum. Ihre Hoffnung war es, einem der Mädchen näherzukommen. Dabei warfen sie auch mal Steinchen an das Fenster oder fragten, ob sie das Spinnrad nach Hause tragen dürfen.
Da es noch kein Spotify gab, gehörte das Singen zum geselligen Beisammensein genauso dazu, wie Hand- und Näharbeiten an den Trachten. Irgendwann sind die Mädchen vielleicht auch auf die Idee gekommen, diese Trachtenteile anzuziehen, um damit vor die Tür zu treten. Ich würde das mit Jugendlichen vergleichen, die heutzutage Bilder auf Instagram hochladen, um sich anderen zu zeigen.
Da sie in der Regel nicht allein hinausgingen, gab es also immer auch Freundinnen, die als Begleiterinnen mit unterwegs waren. Die anderen Kinder in den Häusern sahen dann etwas verschwommenes Weißes, das durch die verschneite Landschaft wandert. Durch die Erzählungen der Alten über das Bože Dźěćatko wurde dann das eine mit dem anderen verbunden und ist uns heute als Brauch überliefert.
Jedes Jahr wird das Bože Dźěćatko im Rahmen eines festlichen Aktes eingesegnet. Was passiert währenddessen?
Es handelt sich hier nicht um einen besonders festlichen Akt. Es ist eher eine Zeremonie, in der dem Bože Dźěćatko beispielsweise wie in Rohne bei Schleife im Rahmen der Abendandacht der Segen erteilt wird. Durch den Segen erhält das Mädchen einen Anteil göttlicher Kraft und Gnade und verwandelt sich somit zu einer mystischen Gestalt.
Warum darf das Sorbische Christkind nicht sprechen?
Man sagt, dass die Tracht des Bože Dźěćatko von dem Mädchen getragen wird, das nächstes Jahr heiratet. Man sagt auch, dass es nicht spricht, damit man nicht weiß, wer schon Hochzeitpläne schmiedet. Die wahre Ursache ist aber, dass das Mädchen hinter das mystische Wesen zurücktritt, was es geworden ist. Die Begegnung mit dem Bože Dźěćatko geschieht also im Allgemeinen schweigend und in Stille. Wer dem Sorbischen Christkind aber trotzdem etwas mit auf den Weg geben will, der kann einen Dank für den erhaltenen Segen aussprechen. Je nach Dialekt bzw. Sprache wäre das:
- Obersorbisch: Dźakuju so!
- Niedersorbisch: Źěkujom se!
- Schleifer Dialekt: Dźěkujom se!
Wenn Sie an Ihre eigene Kindheit denken, liebe Frau Böhme: Was verbinden Sie mit dem Sorbischen Christkind?
Ich gehöre einer Generation an, die diesen Brauch als Kind leider nicht erleben konnte, da dieser nicht zuletzt auf Grund seiner christlichen Prägung unterdrückt worden ist. Erst Anfang der Neunziger wurde er wiederbelebt. Mein Vater kann sich an das Bože Dźěćatko noch sehr gut erinnern: Schneegestöber, eine weiße Gestalt und wie er sich die Nase an der Fensterscheibe der Bauernstube plattgedrückt hat.
Wie verhalte ich mich, wenn ich das Sorbische Christkind treffe?
Ich habe erstmal keine Angst, auch wenn es befremdlich ist, dass mir ein vollverschleiertes Wesen begegnet. Vielleicht hat uns ja die Pandemie etwas sensibilisiert, was das Tragen einer Gesichtsverhüllung betrifft. Jeder, der das Bože Dźěćatko trifft, sollte sich also freuen und erwartungsfroh und vielleicht mit ein bisschen Herzklopfen auf das mystische Wesen zugehen.
Unter normalen Umständen zieht das Sorbische Christkind jedes Jahr von Haus zu Haus. Wie lässt sich diese Tradition in der Pandemie fortsetzen?
Unter normalen Umständen würden wir das Bože Dźěćatko auf den Weihnachtsmärkten vorfinden, die leider nicht stattfinden. Auch auf Weihnachtsfeiern von Kindern und Senioren ist es ein gern gesehener Gast. Leider fallen diese Veranstaltungen auf Grund der Pandemie aus.
Gehen wir wieder zu den Anfängen zurück, dann kann ich aber sagen: Der Brauch war schon immer seuchenschutztauglich. Bei der ursprünglichen Form des Umhergehens wurde bereits auf die Gesundheit, die sehr kostbar war, geachtet. So ist das Sorbische Christkind verschleiert, trägt also gewissermaßen auch einen Mundschutz. Da feierliche Stille herrscht, wird nicht gesprochen und es entstehen somit auch kaum Aerosole.
Darüber hinaus wird ein respektvoller Abstand gehalten und das Überreichen der Äpfel und Nüsse wird mit Handschuhen vollzogen. Mit der Rute wird nur die Schulter berührt. Die Kraft der frischgeschnittenen Zweige überträgt sich auf diese Art und bringt, zusammen mit dem Segen des Bože Dźěćatko, ein gesundes Neues Jahr.
Beitragsbild: Kirsten Ann Böhme