Das Bože Dźěćetko, das sorbische Christkind, ist in Rohne/Rowno nicht einfach zu finden – zu wenig Mädchen gibt es in dem 400-Einwohner-Dorf. In diesem Jahr starten drei neue Mädchen als Bože Dźěćetko und seine beiden Begleiterinnen. Das ist ein Glücksfall. Und nicht zuletzt Lydia Noack/Nowakowa und ihrem wachen Blick für den potenziellen Nachwuchs zu verdanken. Die Ankleiderin/gładźarnica des Christkinds wiederum sorgt mit ihren Assistentinnen jeden Dezember dafür, dass die drei bei ihren Besuchen auf Weihnachtsfeiern korrekt in ihre sorbischen Trachten gekleidet sind und gut aussehen.
Das sorbische Christkind, das Bože Dźěćetko oder „Gottes Kindlein“, hat Nachwuchsprobleme. Die Bewerberinnen für das dźěćetko und seine beiden Begleiterinnen für die Besuche in Rohne/Rowno sind knapp. Lydia Noack/Nowakowa weiß das selbst am besten, ist sie doch seit beinah 40 Jahren die Ankleiderin/gładźarnica des Christkinds im Ort. „Früher hatten wir zehn Bewerberinnen, jetzt müssen wir lange suchen, bis wir überhaupt drei finden, die in Frage kommen. Das sind nicht so viele in einem 400-Seelen-Dorf.“
Die Bewerberinnen müssen Bedingungen erfüllen. „Die Mädchen müssen aus dem Dorf kommen. Sie können ab der Konfirmation oder Jugendweihe und so lange sie unverheiratet sind, mitmachen“, erklärt Lydia Noack/Nowakowa. Rohne/Rowno ist ein Ortsteil der Gemeinde Schleife/Slepo in der Oberlausitz; zum Kirchspiel Schleife gehören neben dem Ort selbst außerdem Groß Düben/Dźěwin, Halbendorf/Brězowka, Mulkwitz/Mułkecy, Mühlrose/Miłoraz und Trebendorf/Trjebin – die alle selbstredend ein eigenes Christkind und Begleiterinnen haben.
![Das Bild zeigt eine Ankleiderin, die das sorbische Christkind mit einem aufwändigen, weißen Schleier und traditioneller Tracht für einen Auftritt vorbereitet.](https://www.sorbisch-na-klar.de/sorbisch-content/uploads/2024/12/DSC00663-1024x683.jpg)
Der Christkind-Look: Großer Kopfputz, schlechte Sicht
Blonde Locken, weißes Gewand, goldene Krone und fertig ist das Christkind wie auf „Struwwelpeter“-Zeichnungen oder im Nürnberger Christkind-Look? Nicht in der sorbischen Tradition. Das dźěćetko kommt in den sorbischen Dörfern in einer Tracht daher, die je nach Ort mit Bändern/banty und Schleifen/šnorky unterschiedlich geschmückt wird. Das Gesicht des Christkinds ist mit einem weißen Schleier bedeckt und es ist aufwändig geschmückt – und sieht deshalb schlecht. Es absolviert schweigend seine Besuche. Das alles zusammen wirkt erhaben und geheimnisvoll.
![Das Bild zeigt das sorbische Christkind, das einer älteren Dame den Segen bringt, während zwei Begleiterinnen mit einer Laterne im Hintergrund stehen.](https://www.sorbisch-na-klar.de/sorbisch-content/uploads/2024/12/DSC00755-1024x683.jpg)
Nicht zuletzt aus diesen pragmatischen Gründen besucht das dźěćetko Weihnachtsfeiern und Gottesdienste immer gemeinsam mit seinen zwei Begleiterinnen. „Das Christkind ist der Stellvertreter Gottes auf Erden und bringt den Segen“, erläutert Lydia Noack/Nowakowa. „Deswegen streichelt es den Menschen mit seiner behandschuhten Hand drei Mal und legt dann die Birkenzweig-Rute auf die linke Schulter, also auf der Seite des Herzens auf.“ Eine Rute, so ganz ohne Strafandrohung für schlechtes Benehmen? „Ja, das ist ungewohnt. Die Kinder kennen heute eigentlich nur den Weihnachtsmann und haben erst mal Angst. Bei uns wird aber niemand bestraft, die Rute aus frischen Birkenzweigen symbolisiert nur Lebenskraft.“
Zugezogene willkommen!
Heutzutage ist Mobilität die Hauptgegnerin des Christkind-Seins und -Findens. Nach der Schule verlassen viele junge Frauen ihre Heimatdörfer zur Ausbildung oder zum Studium. Die Christkind-Besetzung wechselt so häufig durch. „Es ist ein Glück für mich, wenn ich drei Jahre dieselben Mädchen habe“, sagt Lydia Noack/Nowakowa.
![Das Bild zeigt eine ältere Frau, die einem Mädchen hilft, ein traditionelles sorbisches Kopftuch richtig zu binden, während der Hintergrund ein rustikales Zuhause zeigt.](https://www.sorbisch-na-klar.de/sorbisch-content/uploads/2024/12/DSC00660-1024x683.jpg)
2024 sind Emily Reichelt/Reicheltec und Luise Pudel/Pudelec die neu erkorenen Begleiterinnen. Ihre Namen dürfen genannt werden. Doch wer das Christkind ist, wird nicht verraten. „Das Rätseln, wer sich hinterm Schleier verbirgt, gehört zur Tradition“, erläutert Lydia Noack/Nowakowa. „Früher war das Christkind das Mädchen, das wahrscheinlich als nächstes heiratet.“ Zwei der drei „Neuen“ in Rohne/Rowno sind „von klein auf mit der sorbischen Tradition aufgewachsen“, die dritte eine „Zugezogene“. „Dieses Mädchen identifiziert sich mit unseren Traditionen. Das ist schön.“
Sorbische Kulturvermittlung schon im Kindergarten
Die sorbischen Bräuche und die Sprache erneuern sich ebenso durch die interessierten „Neulinge“ im Dorf und ihr Engagement. Sie etwa werden ganz beiläufig und selbstverständlich schon im Witaj-Kindergarten Milenka in Rohne/Rowno vermittelt. Das Witaj- oder „Willkommen“-Projekt wird vom Sorbischen Schulverein e. V. mitgetragen, der sich für den sorbisch-deutschen Spracherwerb in der Kita bis zum Unterricht in den Schulen einsetzt.
Christkind-Check auf der Rentner-Weihnachtsfeier
![Das Bild zeigt eine junge Frau in traditioneller sorbischer Tracht mit farbenfrohen Bändern und Fransen, während eine Person ihr beim Ankleiden hilft.](https://www.sorbisch-na-klar.de/sorbisch-content/uploads/2024/12/DSC00650-1024x683.jpg)
Das sind positive Aussichten auch im Hinblick auf die Nachfolge von Lydia Noack/Nowakowa – irgendwann. Denn noch denkt die 63-Jährige nicht ans Aufhören. „Das mache ich so lange ich noch richtig aktiv bin.“ Die Erzieherin Dana Kavelmann/Kawelmannec arbeitet im Witaj-Kindergarten, will in Rohne/Rowno bleiben, und sie springt ein, wenn Lydia Noack/Nowakowa keine Zeit hat. Sie wird Noacks/Nowakowas Nachfolgerin werden.
Dana Kavelmann/Kawelmannec kleidete das Rohner/Rownoer Christkind bereits zwei Mal allein ein, lernte geraume Weile von Lydia Noack/Nowakowa. Das Ankleiden ist ein aufwändiges Prozedere, bei dem Routine, eine geschickte Hand und ein kundiger Blick nötig sind. „Bei allem wird geholfen“, sagt Lydia Noack/Nowakowa. Bei den Schleifen und Bändern am Hemd, gerade wenn der Rock darüber gezogen wird: „Da kann sich einiges verheddern!“ Dann wird das Schultertuch umgelegt, müssen zwei Schürzen vorne und hinten gebunden werden, weitere Schleifen angebracht, eine Perlenkette umgelegt sowie der Kopfputz aufgesetzt und befestigt werden. Wehe, etwas stimmt nicht ganz! „Bei der Rentner-Weihnachtsfeier bei uns auf dem Njepila-Hof wird ganz genau geguckt, ob alles akkurat sitzt.“
![Das Bild zeigt eine ältere Frau, die einem Mädchen ein traditionelles sorbisches Kopftuch anlegt, während eine weitere Person im Hintergrund zuschaut.](https://www.sorbisch-na-klar.de/sorbisch-content/uploads/2024/12/DSC00676-1024x683.jpg)
Lydia Noack/Nowakowa selbst lernte von ihrer Mutter Lenka Noack/Nowakowa das korrekte Ankleiden und übernahm die Aufgabe erstmals 1985. Sie war selbst einmal dźěćetko und ging mehrfach als Begleiterin mit. Ist eine weitere Nachfolgerin in der Familie in Sicht? „Bislang nicht. Mein Sohn lebt nicht hier und hat noch keine Kinder. Aber falls ich einmal eine Enkelin habe, wird die auf jeden Fall mit der sorbischen Tradition aufwachsen.“
„Die Bänder und Schleifen wurden bunter“
Das Ankleiden setzt viel Wissen um Tracht, Traditionen und Geschichte voraus. In Rohne/Rowno waren vor der Industrialisierung Trachten aus schlichten Flachsfasern üblich. Sie wurden vor Ort gesponnen, gefärbt und vernäht. Seit dem Bau der Eisenbahnlinie Görlitz-Berlin im 19. Jahrhundert waren in der Lausitz feinere Stoffe wie Musselin und Damaststoffe sowie maschinell gefärbte Stickgarne überall verfügbar, weiß Lydia Noack/Nowakowa.
![Das Bild zeigt eine Ankleiderin, die das sorbische Christkind mit einem traditionellen, bunten Kopfschmuck und einem weißen Schleier für den Auftritt vorbereitet.](https://www.sorbisch-na-klar.de/sorbisch-content/uploads/2024/12/DSC00670-1024x683.jpg)
Die Trachtenstoffe wurden kostbarer, Bänder und Schleifen bunter. Trotz ähnlicher Grundtracht hat jedes Dorf seinen eigenen „Christkind-Look“. Wo welcher Zierrat und wie viele Bänder am weißen Hemd und am Kopfputz befestigt wurden, gab in Zeiten vor Dating-Apps nicht zuletzt Auskunft über potenzielle Heiratskandidatinnen. „Man konnte genau zählen, wie viele junge unverheiratete Frauen im Ort waren.“
Schneller Ankleiden – in einer dreiviertel statt in drei Stunden
Heutzutage ist das Ankleiden vergleichsweise wenig zeitaufwändig. „Früher dauerte es drei Stunden, jetzt ist das in einer dreiviertel Stunde erledigt.“ Im historischen Njepila-Hof in Rohne/Rowno gibt es einen Fundus an aufgearbeiteten Trachten – Röcke, Mieder, Hemden und Schürzen, die je nach Körperform individuell an die Trägerinnen angepasst und variiert werden können. Die Mädchen bringen auch keine eigenen Bänder mehr mit, die jedes Jahr neu zu Schleifen gebunden werden müssten. „Das ist alles schon angenäht und wird immer wieder verwendet.“ Eine Ankleiderin/gładźarnica gab es schon immer, sie konnte stets auch rettend eingreifen. „Es hatte ja nicht jede Talent zum Nähen. Schon allein den Kopfputz zu fertigen dauert sonst ewig.“ Schön und prachtvoll aussehen soll schließlich auch alles!
„Wenn das Glöckchen bimmelt, wird es still in der Stube“
Nicht ganz so aufwändig sind die Trachten der Begleiterinnen – für deren Ankleiden sind in Rohne/Rowno Inge Muschalek/Mušalekowa und Gertrud Hermasch/Hermašowa zuständig. Da muss „nur“ die Schleife vorn am Häubchen befestigt, die Schürze korrekt gebunden, und es müssen Details beachtet werden, die in der vorfreudigen Aufregung sonst untergehen: „Der Unterrock darf nicht hervorgucken, und grüner Rock und Schürze müssen die gleiche Länge haben.“ Eines der Mädchen trug beim Rundgang durchs Dorf ein Licht, das den Weg durchs straßenlaternenfreie, winterdunkle Dorf wies; die andere einen Korb, aus dem sie Nüsse oder Pfefferkuchen an die Kinder verteilte.
![Das Bild zeigt das sorbische Christkind mit seinen beiden Begleiterinnen in traditioneller Tracht bei Nacht, vor einem Haus im Freien, mit einer Laterne und einem Korb.](https://www.sorbisch-na-klar.de/sorbisch-content/uploads/2024/12/DSC00689-1024x683.jpg)
Früher besuchte das dźěćetko einmalig auf einer großen Runde jedes Haus im Dorf. Da sind heute die kürzeren Besuche bei den etwa vier bis sechs Feiern im Kindergarten, auf dem Njepila-Hof oder beim Überbringen des Friedenslichtes von der Kirche praktischer. Nicht zuletzt für das Christkind selbst – hinter dem aus weißer Spitze gefertigtem Schleier ist auch kein Trinken oder Essen möglich.
Insbesondere die Feiern auf dem Njepila-Hof sind beliebt, erzählt Lydia Noack/Nowakowa. Gruppen buchen gern das Christkind und seine Begleiterinnen bei zwei bis drei Weihnachtsfeiern in der Saison dazu: „Das ist für alle etwas ganz Erhabenes. Wenn das Glöckchen bimmelt, wird es ganz still in der Stube, weil es so etwas Besonders ist.“ Die Magie der sorbischen Weihnacht und des segensbringenden Christkinds wirkt also nach wie vor. Und sie motiviert idealerweise die jüngeren Mädchen, künftig selbst einmal Begleiterin oder Christkind zu werden und so eine schöne und besondere Tradition lebendig zu halten.
Weihnachten und Neujahr auf Sorbisch
Weihnachts- und Neujahrsgrüße auf Sorbisch? Na klar! Wir haben die wichtigsten Begriffe für dich parat – und die Langversion mit mehr Infos ebenso!
Gesegnete Weihnachten! – Žohnowane hody!
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Gesundes neues Jahr! – Strowe nowe lěto!